Am Rhein
9781465686374
213 pages
Library of Alexandria
Overview
Am Rhein! Welche Fülle von Vorstellungen, von Gedanken und Empfindungen wird beim Klange dieses Wortes in uns geweckt! Das Auge schaut herrliche Landschaftsbilder, die neben dem Schönsten auf Erden noch in Schönheit strahlen; das Ohr lauscht den weihevollen Rheinliedern, die von dem Tiefsten, was die deutsche Brust gefühlt, sprechen, die bald von klagendem Schmerz, bald von stolzer Siegesfreude erzählen oder in den Traum der Sage den Übermut eines fröhlichen Lebens mischen; und der Geist, der die Spuren des Raumes und der Zeit gleich schnell durchmißt, faßt all das Große und Schöne, das Ernste und Heitere, was die Vergangenheit brachte, was die Gegenwart bietet und die Zukunft zu erhoffen läßt, zusammen und weiht den Strom, der Deutschlands Stolz und seines Landes Schönheit ist, zu einem Sinnbild, das alle deutschen Lande und alle deutschen Bruderstämme mit dem Bande ewiger Einigkeit und Treue umfaßt. Das ist der Rhein, und das bedeutet sein Name, und so wird auch sein Name überall, nicht bloß im deutschen Vaterlande, sondern auch in der übrigen Welt verstanden und gedeutet. Darum lockt er die Menschen, führt fröhlich sie von Ort zu Ort, von Stadt zu Stadt und läßt traurig sie weiter ziehen. Für Tausende und Millionen aber bleibt er ein ewiger Traum, der nie sich erfüllen ließ, ein Traum, der selbst bei anderen Völkern lebt, zu denen die Wellen der geheimnisvoll plaudernden Myth’ und Sage, der laut redenden Geschichte schlugen und des schönen Rheinlands begeisternde Kunde drang. Davon ein Beispiel! Es war am Empfangsabende des Internationalen Geologen-Kongresses zu Petersburg im Jahre 1897. In einem großen Restaurant in der Demidowstraße hatten sich die Teilnehmer aus aller Herren Ländern eingefunden. Das war für viele ein frohes Wiedersehen! Das Stimmengewirr der zahlreichen Gruppen, die sich an den Tischen und dem reichgedeckten Büfett gebildet hatten, durchdrang die gastlichen Räume. Im frohen Austausch der Reiseerinnerungen und der weiteren Reisepläne und im Auffrischen früherer Lebensbeziehungen vergingen schnell, nur zu schnell, die schönen Stunden. Meine älteren deutschen Reisefreunde wollten sich nun, gegen Mitternacht, verabschieden, und den protestierenden jungen russischen Herren, die in liebenswürdiger Weise uns an unserem Tische Gesellschaft geleistet hatten, wurde ich als jüngster zurückgelassen, als das Opfer einer angenehmen Pflicht. Wir rückten die Stühle näher zusammen und plauderten weiter. Ich pries die gastliche Aufnahme, die uns in Rußland bereitet wurde, und meine frohgestimmten Tischgenossen wollten wissen, in welchem Teile Deutschlands ich wohne. Und als ich sagte: „Ich wohne am Rhein!“ da riefen alle wie aus einem Munde: „O, so erzählen Sie uns vom Rhein!“ Und ich erzählte von meinem Heimatlande mit der Begeisterung, die der Vater Rhein mir in das Herz gelegt hat, und mit dem Feuer, das ich in den Augen der jungen Russen auflodern sah. Ich pries den stolzen Strom mit seinen grünen Wellen, die Berge, die, rebenbekränzt, die alten Burgen tragen, die rheinischen Städte, deren gewaltige Dome im Rheine sich spiegeln, die freundlichen Dörfchen, die überall, manche umschattet von Obsthainen, die Ufer des Stromes säumen, und auch die rheinischen Mädchen und Frauen, die den fremden Wanderer von der hohen Burgruine herab grüßen, wenn er muß scheiden aus solchem Paradies. Als die Begeisterung überquoll, da erklangen Rheinlieder, fern am Strande der Newá, beim lustigen Klang der Gläser, die mit kaukasischem Wein gefüllt waren.