Der Spanier
Novelle
9781465634283
188 pages
Library of Alexandria
Overview
Auf und ab flog die Schaukel, und Blanche, in weißem Kleide, ganz in Sonne gehüllt, stand aufrecht darin und konnte sich nicht genug tun. Immer höher! Immer höher! War das eine Lust! Die Schaukel kreischte in den Angeln, und Blanche fand eine zeitlang an dieser barbarischen Musik Vergnügen. Wie eine lichte Elfe flog sie zwischen all dem Sonnenschein auf und ab, beständig von weißen Taubenflügeln umspielt. Die dummen und gierigen Geschöpfe flatterten immer wieder von der Dachtraufe, oder der Laube, oder dem Taubenschlag auf die Erde, um dort nach irgend etwas, was ihren Schnabel reizte, zu picken, und alsbald, von der vorübersausenden Schaukel erschreckt, wieder lärmend aufzuschwirren. Es waren ihrer zwanzig, alle schneeweiß mit roten Füßen und roten Schnäbeln, und leuchteten in der Frühlingssonne, wie Blanche in ihrem weißen Kleide. Der ganze Frühling war weiß und leuchtete. Aus dem Garten schimmerten die schneeigen Kronen der vielen Obstbäume, und die hohe Bretterwand der Schaukel gegenüber war ganz und gar mit Pfirsichblüten bedeckt; ein zartes Rosa, wie auf den Wangen der kleinen Blanche. Wie schön waren doch diese Tage! Es war nicht mehr das erste Knospen, das die Vorfrühlingstage so unendlich reizvoll macht, die Vorfrühlingstage, wo man still, mit einem erwartungsvollen Lächeln, durch den Garten geht, zart und zärtlich die kleinen winzigen Knospenkinder anblickt und fast behutsam auftritt, als könnte man irgend etwas stören, und die ganze erwartete Seligkeit könnte ausbleiben; es war jetzt nichts mehr zu erwarten, es war schon alles da, der ganze, volle Frühling. Wie in einem Rausch hatte sich die Natur erschlossen; ein Blühen und Duften war es, und die Luft schwirrte von den Flügeln der kleinen Insekten, die um die Honigtüten summten, und den Blütenstaub von Blume zu Blume trugen. Und über dem Allen wölbte sich ein reiner, lichtblauer Himmel, durch den nur ein einziges weißes Wölkchen wie in seliger Verträumtheit dahin schwamm. Über dem Pfirsichspalier tauchte jetzt ein blonder Knabenkopf auf, ein längliches, blasses Gesicht mit einer Pagenfrisur. »Lux! Lux! komm schnell einmal herüber!« rief Blanche. »Ich habe dir etwas Neues zu erzählen!« Sofort verschwand der Pagenkopf wieder, und Blanche sprang aus der Schaukel. Ohne sich zu besinnen, lief sie durch die Pforte eines niedrigen, grün gestrichenen Holzgitters, das Hof und Spielplatz gegen den Garten abschloß, und ging dann ein wenig langsamer einen schmalen Steig hinunter, den zu beiden Seiten die schlanken Stämmchen junger blühender Pflaumenbäume einfaßten. Dahinter erstreckten sich rechts und links sauber abgezirkelte Gemüsebeete, gegen den Steig von einer schmalen Blumenrabatte begrenzt, auf der gelbe Tazetten, weiße Narzissen und blaue Iriskelche still in der Sonne standen und sich von einigen gewöhnlichen Kohlweißlingen den Hof machen ließen. Bei einem alten Dornbusch, dessen phantastisch gewundene Äste weit ausgriffen und eine roh aus Holz gezimmerte Bank überschatteten, und in dessen weißem Blütendach unzählige Sperlinge zankten, bog der Steig nach rechts um und lief hart an der Grenze des Gartens weiter. Hier befand sich in einer wohlgepflegten Ligusterhecke eine schmale Pforte, durch welche die Nachbarkinder miteinander verkehrten. An ihr erschien nun Lux mit fragenden Augen und etwas erhitztem Gesicht; er hatte laufen müssen, um gleichzeitig mit Blanche einzutreffen, denn der Nachbargarten, mehr Zier- und Lustanlage, hatte gewundenere Wege.