Title Thumbnail

Thomas, der Leutpriester

9781465682581
213 pages
Library of Alexandria
Overview
Es war im Jahre 1523. Auf den zahlreichen, für jene Zeit sehr guten Landstraßen, die zu der großen, reichen niederländischen Hafenstadt Antwerpen führten, herrschte schon am frühen Morgen reges Leben. Es war Markttag, und die Landleute der Umgegend brachten auf großen und kleinen Wagen, auf Schiebkarren und in Tragkörben allerlei Erzeugnisse ihrer wohlbestellten Felder und Gärten herbei, zur Nahrung für die hunderttausend Menschen, die damals die mächtige Handelsstadt bevölkerten. Die Tore wurden geöffnet, und in langer Reihe bewegten sich die Fuhrwerke dem Marktplatze zu. Unter den letzten Nachzüglern befand sich ein Wagen, der wohl recht weither kommen mochte, denn er war mit Staub bedeckt, und das wohlgepflegte Rößlein schien herzlich müde. Als aber der Eigentümer die Leinwand wegzog, die seine Waren bedeckte, zeigten sich nicht nur Feldfrüchte der besten Art, sondern auch herrliches Obst und eine Fülle frischer Blumen, zierlich zu Sträußen gebunden und in Körbe geordnet. »Faß zu, Thomas«, rief der Mann dem etwa zehnjährigen Knaben zu, dem er die Zügel zu halten gegeben. »Hilf mir das Leintuch zusammenfalten! Nicht so! Mußt denn alles verkehrt machen? Nur hurtig! Es wird bald zur Frühmesse läuten, und wir sind noch weit vom Marktplatz.« Nun fuhren sie wieder die jetzt schon belebte Straße entlang. Der Vater freute sich, wenn jemand im Vorübergehen seine frischen Waren bewunderte; die schönen blauen Augen des blonden Knaben schweiften ins Weite. »Na, Thomas«, begann der Vater, »'s ist das erstemal, daß du die große Stadt siehst. Nun schau brav um dich, daß du die Welt kennen lernst.« »Wohl, Vater«, erwiderte der Junge. »Eben flog ein Vöglein auf von jenem Dache! Wie frei und leicht schwang sich's empor bis zum blauen Himmel! Wie glücklich mag's sein dort oben!« »Dummer Bub! Vögel kannst daheim übergenug sehen! Betracht' doch die stattlichen Häuser, die Säulen, die Erker, die Schildereien an Fenstern und Türen! Sieh doch, wie emsig die Leute laufen! Ja, hier hat keiner Zeit zum Träumen! Jeder treibt sein Gewerbe, seine Kunst, seinen Handel! Jungens und Mädel in deinem Alter verdienen schon manch blankes Geldstück. Sieh dort die prächtige Kutsche! Da sitzt gewiß ein Edelmann drin oder ein reicher Kaufherr! Und guck mal die Gasse hinab! Ich will ein wenig stillhalten, daß du die vielen, vielen Masten und die flatternden Wimpel von ferne sehen kannst. Dort unten ist der Hafen; wenn du wacker hilfst, führ' ich dich nachmittags hin. Wie wirst du staunen über die Menge der Schiffe!«