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Das Speicherbuch

9781465673695
213 pages
Library of Alexandria
Overview
Etwa siebenhundert Jahre sind verflossen, seit die ersten Speicher in Hamburg errichtet wurden, d. h. Gebäude, die ausschließlich zur Lagerung von Waren bestimmt sind. Ihre Vorgänger, die alten Kaufmannshäuser, in denen sich Wohnung und Warenvorräte unterm nämlichen Dach befanden, haben wir uns mit Melhop (2 f.) in ihren Anfängen einfach als in die Stadt gerückte altsächsische Bauernhäuser zu denken, nur daß diese sich hier, innerhalb der engen Umwallung, auf sehr beschränktem Raum einzurichten hatten und statt in die Breite sich in die Höhe entwickeln mußten. Auf die große Diele mit dem offenen Herd verzichtete man nicht, aber die Wohnräume mußte man dafür schon in ein oberes Stockwerk verlegen; darüber lagerten sich dann die Warengelasse. Noch im 13. Jahrhundert waren die Häuser durchweg aus Holzständern mit Lehmgeflecht dazwischen hergestellt, vielfach auch mit Stroh gedeckt. Selbst Rauchfänge aus Holz waren häufig zu finden. Kein Wunder, daß im Jahre 1284 eine verheerende Feuersbrunst fast die ganze Stadt vernichtete. (Tratziger 63.) Beim Wiederaufbau hielt man sich wohl an solideres Material, aber von der altgewohnten Einrichtung wich man weder damals noch später ab. Trotz nachträglicher Einbauten können wir das noch heute in manchen alten Kaufmannshäusern erkennen. Vor allem blieb die große Diele, durch zwei Stockwerke gehend und genügend Tageslicht durch hohe Fenster vom Hof empfangend. Daran, mit breiten Holzgeländern an beiden Seiten, eine mächtige Doppeltreppe, die auf eine Galerie des ersten Stockwerks führte. In der Mitte der Decke fand sich ein durch eine aufklappbare Luke geschlossener Ausschnitt, das Winn’lock, das sich durch alle Stockwerke bis an die Haspelwinde des Spitzbodens fortsetzte und das Auf- und Abwinden von Waren mittels der endlosen Windetaue, der Löpers, ermöglichte. An anderer Stelle hing die Wagschale, die Bummelschal, von der Decke herab. Es war noch im 19. Jahrhundert das Vorrecht des „Großbürgers“, mit der „großen Schale“ zu wägen, wie auch nur dieser ein eigenes Konto bei der Girobank halten und Waren „auf Transitozettel deklarieren“, d. h. für fremde Rechnung ein- und ausführen durfte. — Küche und offener Herd hatten gleichfalls ihren Platz an der Diele. Neben ihrem Hauptzweck, der Warenbewegung zu dienen, bildete diese in vielen Fällen einen wahren Prunkraum, dessen vergoldete Karosse und blendender Reichtum an Küchengeschirr bereits von der Straße aus bestaunt werden konnte. Hier hing im Herbst zur Zeit des „richtigen Ossenslachterwedders“ (Sturm und Regen) der schön geschmückte Ochse (Beneke 359 f.), hier wurden vornehme Gäste empfangen, hier war auch der Tummelplatz der Kinder (Hertz 36 f.) und bei Todesfällen fand hier die feierliche Aufbahrung des Sarges statt (Zacharias 29 f.). — Lichtwark (1897, 61 f.) schreibt: „Wie einheitlich und behaglich wirkt der Raum, wie reich und vornehm! .. Was ihn so lebendig macht, lebendiger als die stolzen Treppenhäuser der Barockpaläste, das ist seine Lauschigkeit, die das tägliche Leben ahnen läßt. ... Jetzt stehen noch ein halbes Dutzend im alten Zustande, aber da die Häuser nicht mehr bewohnt werden und nur als Speicher und Kontore dienen, sind sie unfrisch oder verkommen. Die Künstler, die in Hamburg lebten, haben uns von der traulichen Poesie dieser Räume kein Bild erhalten, den Dilettanten aber, die uns einen Blick in die dem Untergang geweihte Herrlichkeit festhielten, wird man nicht nur in Hamburg ein dankbares Andenken bewahren. ... Hätte es solche Schönheit in der Privatarchitektur Münchens, Berlins oder Düsseldorfs gegeben, so würden Generationen von Malern in unserem (neunzehnten) Jahrhundert sie verherrlicht haben.