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Sämtliche Werke of Nikolai Vasilevich Gogol (Complete)

9781465669759
213 pages
Library of Alexandria
Overview
Gogols Roman „Die toten Seelen“ nimmt in der russischen Literaturgeschichte des XIX. Jahrhunderts eine besondere und einzigartige Stellung ein. Es ist der erste Roman von künstlerischem Werte, in dem der russischen Gesellschaft ein großes und treues Bild ihres eigenen Lebens geschenkt ward, ein Bild, das aus dem Pinsel eines großen Künstlers und Realisten herstammte. In diesem Roman vergißt der russische Dichter zum ersten Mal sich selbst, seine persönlichen Sympathien und Antipathien, jene erbaulichen moralischen Betrachtungen, die er nach alter Sitte in seine Novellen und Erzählungen einzuflechten pflegte, und ist nur noch von einem Wunsche ergriffen: die nackte Wahrheit auszusprechen über die dunkeln Seiten des Zeitalters, in dem er lebt. In diesem Sinne stellen die „Toten Seelen“ ein künstlerisches Denkmal dar, das in der Geschichte der russischen Literatur eine neue Ära eröffnet. In den ersten Jahrzehnten des XIX. Jahrhunderts — dem Zeitalter der sogenannten „Romantik“ und des „Sentimentalismus“ gab es für den russischen Dichter nur ein Objekt, das ihn stetig beschäftigte, seine eigene Persönlichkeit. Es gab nichts Wichtigeres für ihn als sein eigenes Selbst, mit all seinen Gedanken, Stimmungen und dem freien Spiel seiner Phantasie. Er wußte vor allem davon zu erzählen, wie die gesamte Umwelt sich in ihm, dem Dichter spiegelte; und daher blieb sein Verhältnis zu dieser Umwelt immer rein subjektiv. Mit dem vierten Jahrzehnt des XIX. Jahrhunderts erfährt jedoch dieses subjektive Verhalten des Künstlers zu seiner Umgebung eine Wandlung, die sich sehr rasch vollzieht und schnell in der gleichen Richtung fortschreitet. Von nun ab geht das Streben des Künstlers vor allem darauf, das Leben so treu und vollständig als nur möglich zu ergreifen und wiederzuspiegeln; das Leben selbst in seiner ganzen Mannigfaltigkeit und in seinem Gegensatz zu ihm, dem Dichter wird jetzt der wichtigste Gegenstand seines Interesses. Er beginnt es bis tief ins Einzelne zu analysieren, um es dann im Ganzen oder in seinen Teilen rein und treu zu reproduzieren. Der Künstler sieht sein größtes Verdienst darin, seine eigenen Sympathien und Antipathien zurücktreten zu lassen und womöglich ganz zu verbergen. Er strebt nur darnach, jenen Stoff, den er zu bearbeiten hat, so objektiv und unparteiisch als möglich zu erfassen und restlos in sich aufzunehmen. Erst mit Gogol tritt diese Hinwendung des Künstlers zur objektiven Darstellung in der russischen Literatur ganz unverhüllt ans Licht. Im „Revisor“ und in den „Toten Seelen“ besitzen wir zwei streng realistische Gemälde russischen Lebens aus der Epoche Nikolaus’ I. So wurde Gogol zum Begründer der sogenannten „naturalistischen“ Schule, die den Ruhm der russischen Literatur auch nach dem Westen trug. Und darin sind alle russischen Künstler den Spuren Gogols gefolgt, indem sie alle die Umwelt zum Gegenstand eines peinlichen und gründlichen Studiums machten, um sie dann als Ganzes oder doch einen Ausschnitt von ihr objektiv doch zugleich künstlerisch wiederzuspiegeln. Das war die Arbeitsmethode aller großen russischen Künstler; von Turgenjew, Dostojewski und Ostrowski bis zu Gontscharow, Tolstoi und Saltykow-Schtschedrin. Und wenn auch ein jeder von ihnen seine in seinen Werken eigene Weltanschauung zum Ausdruck brachte und mit besonderer Liebe bei den Gestalten verweilte, die ihm selbst am nächsten standen; wenn er mitten hinein in die Gemälde realer Wirklichkeit rein persönliche Betrachtungen einflocht, und sich’s erlaubte, eine Art Glaubensbekenntnis vor dem Leser abzulegen, so waren doch ihre Werke vor allem und in erster Linie ein großes und detailliertes Bild der lebendigen Wirklichkeit, ein historisches Dokument einer Epoche; es blieb stets die Hauptsorge des Künstlers: nicht seine persönlichen Ansichten und Gefühle zum Ausdruck zu bringen, sondern die Idee und den Umriß des Lebens zu erfassen, das sich vor seinen Augen entrollte.