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Aus der Schweiz

9781465668394
213 pages
Library of Alexandria
Overview
Der Meierhof ist eigentlich keine Pension: außer uns hielt sich nur noch ein Pole dort auf, derselbe, dessen Namen diese Skizze trägt. Wir wußten jedoch damals seinen Namen noch nicht, sondern nur, daß er an der Brust leide, den Sommer über in Interlaken zur Molkenkur gewesen sei und jetzt in Horgen die Traubenkur gebrauchen wolle. Warum er zu diesem Zwecke nicht lieber in die französische Schweiz ging? Eine polnische Familie, welche in der Nähe von Zürich ein Landhaus besaß, hatte einen sehr geschickten Arzt bei sich. Mit diesem war Mauricy in Interlaken bekannt geworden und hatte solches Vertrauen zu ihm gefaßt, daß er noch länger in seiner Behandlung zu bleiben wünschte. Die Familie hatte mit jener Herzlichkeit, welche die Polen unter sich verbindet und sie gleichsam zu Gliedern einer Familie macht, dem kranken Landsmann ihr Haus angeboten, aber er wollte weder geniren, noch genirt sein, und so kam es, daß wir ihn in Horgen kennen lernten. Von hier aus konnte er mit den vielen Dampfschiffen, welche den Zürichersee durchfurchen, täglich nicht nur ein, sondern mehrere Male hinüber. Ich will unsern Hausgenossen schildern. Sein Aeußeres war sonderbar, doch für uns wenigstens gleich auf eine gewisse Art einnehmend. Wir sahen ihn zum ersten Male, als er die Treppe hinaufstieg, welche zu seinen und unsern Zimmern führte. Groß und schlank ging er langsam, gebückt und nachlässig, die Augen gleichgültig vor sich hin gerichtet, ohne irgend Etwas, folglich auch ohne uns zu bemerken. Sein glattes Haar war dunkel und tief auf die Stirn gekämmt, welche, gleich dem ganzen zusammengefallenen Gesichte, eine wachsgelbe Farbe hatte. Die Kleidung war grau, aber auch vom Kopf bis zu den Füßen so vollständig grau, daß wir Mauricy später nie anders nannten, als unsern grauen Geist. Indessen in dieser wunderlich schlotternden Umhüllung und trotz seines völligen Sichfallenlassens sah man in ihm den ächten Edelmann. Nie wäre es Einem eingekommen, den schlichten, blassen, grauen Menschen für einen commis voyageur zu halten. Sein Alter schätzte ich damals auf sechs- bis achtunddreißig Jahre, später sagte er uns, daß er achtundzwanzig sei.