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Aus grauen Mauern und grünen Weiten: Schauen und Sinnen auf Heimatwegen

9781465665027
213 pages
Library of Alexandria
Overview
Nicht lange vor dem Kriege hatte ich mit meinem Freunde Heinz eine köstliche Wanderfahrt ins Blaue mit dem Rade unternommen. Die alten lieben Städtchen am Main, wie Wertheim und Miltenberg, übten ihren mittelalterlichen Zauber, die Landschaft und der Frankenwein ließ unsere Herzen höher schlagen. Wie auf leichten Schwingen flogen wir durchs liebliche Taubertal. Eines Tages war das alte herrliche Rothenburg o. T. unser lockendes Ziel. Wir hatten das schöne Weickersheim mit seinem mächtigen Hohenlohe-Schloß und vergessenem, verwunschenem, verträumtem Park besucht und kamen gegen Sonnenuntergang über die Höhen an den Rand des Taubertales. Wir traten aus dem Walde: da lag plötzlich vor uns wie ein Märchen in rotglühendem Abendschein aus duftigem Talgrunde aufsteigend die alte herrliche Stadt mit ihren Mauern und Türmen, mit ihren Giebeln und Dächern und malerischen Toren in wundervollem Umriß vor dem leuchtenden Abendhimmel. Wir konnten nur stumm und atemlos schauen und schauen und haben den unvergeßlichen Eindruck nie wieder aus dem Herzen verloren. – Einige Jahre nach dem Kriege kam ich mit der Bahn von Würzburg nach dem alten herrlichen Rothenburg, um meiner Frau dieses Kleinod der Erinnerung zu zeigen. Wehe – ein nüchterner Bahnhof, eine langweilige Landstraße zur Stadt – – nichts von Romantik bis wir in der Stadt waren und der mittelalterliche Zauber unsere empfänglichen, zunächst so enttäuschten und ernüchterten Herzen wieder umsponnen hatte. – Freiberg ist kein Rothenburg, und Tausend mögen durch seine Gassen wandern ohne je eine Spur von Romantik oder mittelalterlichem Zauber zu finden. Tausend mögen kopfschüttelnd wieder davongehen mit enttäuschtem, ernüchtertem Herzen, weil der karge, spröde, ernste Geist und Charakter der Stadt kein Lächeln für sie fand, das ihre Seele aufschloß und warm machte, wie jenes heitere, köstliche Stadtjuwel im Süden so leicht es vermag.