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Briefe eines Malers an seine Schwester

9781465663115
213 pages
Library of Alexandria
Overview
Nun bin ich in der Heimath, vorgestern langte ich hier an. Es ist doch ein eignes Gefühl, wie ein Fremder, den Niemand kennt, den Keiner erwartet, für den nicht eine Seele einen freundlichen Gruß hat, in die Vaterstadt, in die Stadt seiner holdesten Erinnerungen zurück zu kehren. Du weißt, ich bin nicht sentimental, Pauline, aber da Du »Alles wissen willst, was sich zwischen mir und Burgwall ereignet,« so sei's gestanden, daß ich eine Art Herzweh fühlte, überall auf meinem Wege zum Gasthause Personen zu begegnen, die mich höchstens mit dem Blicke der Betrachtung beehrten. Und nun im Gasthause zu wohnen, ein wirklicher Gast, ein Fremder daheim zu sein! Das deutsche Haus, mit seinen Kastanien vor der Thüre – sie standen richtig noch da – lockte mich heimisch an: ihm gegenüber liegt ja das alte, liebe Haus, das meiner Phantasie immer als Heerd tiefsten Behagens vorgeschwebt hatte. Du erinnerst Dich gewiß, obgleich Du es als ein Kind von acht Jahren verließest, es steht mit dem Giebel nach der Straße, hat im zweiten Stock einen runden Ausbau, ist mit Schnitzwerk überladen und sieht auswendig gerade aus, wie ein Magister des sechszehnten Jahrhunderts sich der Welt präsentirt haben mag, künstlich, solid und pedantisch. Aber inwendig ist das anders. Gerade das Erkerstübchen war ein überaus behagliches, freundliches Zimmer, mit Blumen, vielem Lichte und duftigen Vorhängen. Ich erinnere mich, daß es grün decorirt war, und nußholzene Möbel hatte, die immer wie neu polirt glänzten. In der einen Ecke stand eine Harfe – Mutter spielte sie wundervoll – und mitten in einer Blumengruppe zog mich immer ein Bild an, ein Christus auf dem Meere. Das Gesicht der Hauptfigur hatte einen bezaubernden Ausdruck; es schwebt mir oft vor, und ich habe schon oft es zu malen gewünscht, aber seltsam! mit diesen Heiligenbildern will es mir nie gelingen. – Mutter schien sich stets zu freuen, wenn ich bei den seltenen Gelegenheiten, da sich mir dies Zimmer öffnete, lange betrachtend vor dem Bilde stand, sie hatte eine etwas bigotte Richtung, die herrliche Seele, und hat sich, glaube ich, über die nichtssagendsten Dinge, das Leben schwer genug gemacht. Du hast Mutter kaum gekannt, Pauline, Du warst erst sechs Jahr alt, als sie starb, ich sechszehn. Sie war ein Engel – aber etwas überspannt, ich glaube nicht, daß Vater ganz glücklich mit ihr war. Von einer alten Tante, so einer Art Nonne, erzogen, brachte sie eine Last von Vorurtheilen unserm lebensfrohen, geistvollen Vater zu, und nur seiner Liebe zu ihr ist es wohl zuzuschreiben, wenn er nie darüber klagte, daß sie in ihrer Ehe stets ihren eignen Gang ging und sich nicht zu Vaters Lebensanschauung erheben konnte. Kinder beobachten schärfer als man gewöhnlich glaubt, ich habe öfter bemerkt, wie still und ernst Mutter ihre Vorkehrungen traf, wenn Vater Gesellschaft gebeten hatte, wie erschreckt sie von ihrem Buche aufsah, wenn spät Abends ein munteres Gelächter oder jubelnde Toaste in das Schlafzimmer hinauf schallten, wo sie uns so sorglich gebettet hatte und dann lesend des Vaters harrte. – Erinnerst Du Dich nicht, wie sie uns beten lehrte? – Die liebe Heilige! Ich denke nicht ohne Rührung an sie, aber ich möchte um keinen Preis, daß Du ihr einst glichest. Ich bin kein Heide, aber mir schaudert vor dieser Pietisterei; sie vergällt die reinsten, unschuldigsten, harmlosesten Freuden, und verdammt ihre Opfer zur gänzlich unnöthigen, unfruchtbaren Selbstkasteiung.