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Die Hochzeit der Esther Franzenius: Roman

9781465663092
213 pages
Library of Alexandria
Overview
Auf dem Fluß hingen des Morgens Nebel, die sich in zarten Tönungen auch noch über die Uferwiesen hin erstreckten. In den Straßen sangen nach altem thüringer Brauch die »Kurrendeschüler« mit ihren schwarzen Chormäntelchen angethan. Sie zogen von Haus zu Haus, sangen mit Engelsstimmen und schimpften einander dazwischen, als die Gassenbuben die sie waren. Von den Bäumen plauzten schon die reifen Kastanien, zerbarsten und rollten schillernd über den Weg. In wenig Tagen würde man auch das Schwimmbad schließen müssen, denn schon traute sich niemand mehr in das abgekühlte Wasser, ausgenommen Fräulein Esther Franzenius. Fräulein Esther aber würde gewiß nicht eher aufhören ihre sehr schlanken, kraftvollen Glieder gegen das Wasser zu spannen, bis ihr das erste Nachteis die Haut ritzte. Esther Franzenius ging über die Wiesen, da steifte sich ihr der Wind entgegen und zerrte an ihren vom Wasser feuchtdunklen Haarsträhnen, die immer zu lang in das Gesicht fielen. Und sie bog ein wenig den Oberkörper zurück, und eine Tragkraft ging durch ihren ganzen Leib, als sei er ein feiner, stolzer Bau, den festgefügte Steine gen Himmel heben. Dann ging sie durch die grauen Gassen mit dem Pflaster von Anno dazumal und zuletzt die kleine Anhöhe hinauf. Ja, ganz versteckt lag das Haus, in dem Esther wohnte. Eine hohe, breitbuchtende Ligusterhecke umsperrte den Garten. Maria kam über den Weg ihr entgegen. Maria war schön und strahlend – auch in ihrem Mißmut. Maria nahm alle Herzen hin, und selbst die Baumwürzelein freuten sich, wenn sie vom Kleidersaum der Allerschönsten gestreichelt wurden. Ja, Maria hatte ein gesegnetes Angesicht.