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Geschichte der Philosophie im Islam

Tjitze J. de Boer

9781465662668
213 pages
Library of Alexandria
Overview
Von alters her war, wie heutzutage, die arabische Wüste der Tummelplatz unabhängiger Beduinenstämme. Mit freiem, gesundem Sinn blickten diese in ihre einförmige Welt hinein, deren höchster Reiz der Beutezug, deren geistiger Schatz die Stammesüberlieferung war. Weder die Errungenschaften geselliger Arbeit noch die Gaben schöner Muße waren ihnen bekannt. Nur an den Rändern der Wüste wurde, in Staatenbildungen, die oft von den Überfällen jener Beduinen zu leiden hatten, eine höhere Stufe der Gesittung erreicht. So war es im Süden, wo in christlicher Zeit unter abyssinischer oder persischer Oberhoheit das alte Reich der Königin von Saba fortbestand. Im Westen lagen an einer alten Handelsstraße Mekka und Medina (Jathrib), und besonders Mekka mit seinem Markte im Schutze eines Tempels war ein Mittelpunkt regen Verkehrs. Im Norden endlich hatten sich zwei halbsouveräne Staaten unter arabischen Fürsten gebildet: gegen Persien hin das Reich der Lachmiden in Hira und gegen Byzanz der Gassaniden Herrschaft in Syrien. Aber in Sprache und Poesie stellte sich schon vor Mohammed einigermaßen die Einheit der arabischen Nation dar. Die Dichter waren die Wissenden ihres Volkes. Ihre Zaubersprüche galten zunächst den Stämmen als Orakel. Doch ging ihre Wirkung wohl oft über den eigenen Stamm hinaus. Mohammed und seinen nächsten Nachfolgern, Abu Bekr, Omar, Othman und Ali (622–661) ist es nun gelungen, die freien Wüstensöhne zusammen mit den gesitteteren Bewohnern der Küstenstriche für ein gemeinsames Unternehmen zu begeistern. Diesem Ereignis verdankt der Islam seine Weltstellung. Denn Allah zeigte sich groß und für die Ihm sich Ergebenden (Muslime) war die Welt gar klein. In kurzer Zeit wurde ganz Persien erobert und verlor das oströmische Reich seine schönsten Provinzen: Syrien und Ägypten. Medina war der Sitz der ersten Chalifen oder Stellvertreter des Propheten. Aber Mohammeds tapferer Schwiegersohn, Ali, und dessen Söhne unterlagen Moawia, dem klugen Statthalter von Syrien. Seit der Zeit besteht die Partei des Ali (Schiiten), die unter mancherlei Wandlungen, bald unterworfen, bald an einzelnen Stellen zur Herrschaft gelangt, ihr Wesen in der Geschichte treibt, bis sie sich (1502) im persischen Reich endgültig gegen den sunnitischen Islam abschließt. In ihrem Kampfe gegen die weltliche Macht haben die Schiiten sich aller möglichen Waffen, auch der Wissenschaft bedient. Schon früh erscheint unter ihnen die Partei der Kaisaniten, die dem Ali und seinen Erben eine übermenschliche Geheimwissenschaft zuschreibt, ein Wissen, mit dessen Hilfe der innere Sinn der göttlichen Offenbarung erst klar werde, das aber auch von seinen Adepten nicht weniger Glauben und unbedingten Gehorsam gegen die Träger solchen Wissens erfordert als der Buchstabe des Korans.