Die irdische Unsterblichkeit: Roman
Werner Jansen
9781465654137
213 pages
Library of Alexandria
Overview
Das Leben beginnt nicht, wenn einer die Welt beschreit. Umgekehrt, wenn die Welt auf jemand einbrüllt, dann fängt das Leben an. An dreißig Jahre war ich und erfüllte den Platz, auf dem ich stand, mit Toben und Lärmen, aber von mir und anderen wußte ich nichts. Plötzlich erwachte ich in der Dämmerung, vom Tau wie von Tränen gebadet, in einer wüsten Schlucht nahe der Grenze meines Landes; wachte auf in einer Stille ohnegleichen, denn die Vögel schliefen noch, aber Gottes große Stimme donnerte gleichwohl in meine Ohren. Die Augen brannten mir von ungekanntem Schmerz, ich barg das Gesicht ins nasse Moos, Wams und Hemd riß ich offen und drängte die Brust der Erde auf – die Flammen in meinem Herzen erstickten nicht. Mein Blut war umgewandelt, aus dem Strom wuchsen tausend Tropfen, und jeder Tropfen peinigte mich auf seine besondere Art. Ausgestoßen, verdammt, verloren hier und dort – qualvoll, langsam wie Todesstunden kamen dieErinnerungen zurückgeglitten: Schlaf, Sturz, ein rasendes Reiten, Blässe und Blut. Trocken lag mir die Zunge im Gaumen, das Haar, von Schweiß und Schmutz verklebt, lähmte mir die Stirn wie eine Eisenklammer. Das kleine Leben unter mir brachte mich zu mir, aus den verschwollenen Lidern betrachtete ich mit stumpfer Ruhe die schwarzen Käferchen, die ernsthaft und eilig unter meinem Antlitz ungeheure Wege eroberten und ein zielsicheres Wesen hatten, wie Diener eines Staates. Aber das dürftige Spiel hielt meine Kümmernis nicht lange gefangen, wütend griff ich in das Getriebe, aus nackter Lust an fremdem Leid, bis ein halblautes Wort mir den Atem aus der Brust stieß und mich emporschnellte, als bebte die Erde unter mir. Mit jähen Knien wandte ich mich.