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Die Kegelschnitte Gottes: Die Horus-Romane. Erster Roman

9781465652225
188 pages
Library of Alexandria
Overview
Der reife Schlaf fließt auseinander. Immer lichter schimmern selige Schichten dem Bewußtsein zu. — Dort oben kreist, noch wolkig, das Dasein: Grünes und Gezwitscher. Hebt, was seinen Rand berührt, herauf in gleitenden Erdentag und geordnetes Wegeneinander. Doch auch der zeitlose Abgrund bleibt beständig — samtene Nächte tief unter den Wirbeln —, und hintüberstürzend läßt sich’s nach Willen in ihn zurücksterben: in lautlose Schwärze. Nach einem dunklen Klumpen Ewigkeit rötet sich abermals die Zeit an den gewölbten Lidern. Ein Niederpressen, und wieder ist der ganze Kopf voller Sterne da; geschlängelte Goldfäden dazwischen und Wirbel bunter Atome. Doch bananenfarbne Glorie lockt und lockt in die sanfte Geburt des Erwachens. Etwas steigt auf — stößt durch letzte Schimmerschichten — ist ein Ich und ruht in einem wunderguten Eck; jedes Glied zum Besten und ganz still, ja nicht zu stören, was der Muskelgeist im Unbewußten prächtig geordnet. — Wonne läuft von einem zum andern. Dort um das Ohr besonders, wo das Kissen eiderdaunig am Hals zergeht, staut sich ein kleines Privatparadies animalischer Seligkeit. Das Linnen ist eine laue Wolke über den Beinen und schwebt. — Unter ihm schwelen noch alle Wunder der Nacht: der Ichverlöscherin. Aus lichten Gebärden und dunklen Trieben wirkt sie das Zwiegespinst allen Erdenglücks: verküßte Glieder jenseits von Ich und Du. Die Grenzen der Körper zergangen, Blütenweiches ineinandergegossen, Muskelwellen und Täler sich rhythmisch streifend; Duft — Hauch — Haar zu einem Frühling gemischt. Allmählich aber in den Reigen blinder Sinne mengt es sich scheu, heiß, sehnsüchtig auch, wie ein Kind, das andere nicht mitspielen lassen: Das Schauen will sein Teil: Horus hat die goldenen Knabenaugen aufgeschlagen. Das Ich und Du fällt auseinander. Unerbittlich nah, wie es nur Wesen in der Liebe sind, sieht er das holde Gespiel gleich einem Schleier leicht auf sich ruhen. Geisterhaft fein gebaut, vorweiblich edel in der Vollkommenheit ihrer dreizehn Jahre. — Und er erschauerte ihrer Schöne. Weise menschliche Bräuche des Tropenlandes, in denen der Knabe aufwuchs, hatten sie an den Grenzen der Kindheit zueinander gelegt. So blühten sie mit dem allmählichen Zentrieren der Sinne in die Ehe hinein; nach wonnig-langem Aneinanderhinbeben noch herbverschlossener Lust. Ohne Eheeinbruch: roh und frech. Horus Elcho löste sich tierweich von dem Liebesgespiel, hauchte hinknieend die Silberhalme der Schenkel hinauf zur noch verschlossenen Quelle des Lebens unter dem glatten jungen Frühlingshügel. Sie duftete nach den zartesten Harzen der Welt. Ein Falter aus atmendem Brokat, angelockt, ließ sich nieder mit gebreiteten Farben. Entrollte umständlich eine brünette, haardünne Spirale und begann starren Auges zu saugen aus diesem ganz unbegreiflichen Kelch. Dann stieg er lautlos auf in seinen einzigen, großen Lichttag. Des Knaben Hände sehnten sich, das schlafende Kindergesicht wie einen Kelch zum Mund zu führen, mit den Lippen die befiederten Wimpern zu heben: dann schnitten sie flügelhaft weit in die Schläfen, und man sah lebendige Kerne in wunderbar wagrechten Schalen voll flüssiger Magie. Oder es waren klare Bergseen in der Form eines Fisches, leicht gebogen ruhend, wo aus bläulichem Tal der durchsichtige Nasenfelsen unbegreiflich edel steigt. Und auf einmal warf man alle Bilder weg, um nur „Auge“ zu fühlen — nichts als: Auge. Man sah auch, daß der Schwung der Braue verströmte und eigentlich etwas Unendliches war ... man sah ... man sah; der Segen des Sehens an diesem jungen Liebeskörper war ohne Ende.