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Was Helmut in Deutschland erlebte: Eine Jugendgeschichte

9781465651273
311 pages
Library of Alexandria
Overview
Majestätisch rauschte der Überseedampfer in den Hafen von Hamburg. Er kam von Brasilien und war während der letzten Tage mit schnellster Fahrt gelaufen. Auf Deck spielte die Musikkapelle. Hunderte von Passagieren drängten sich durcheinander, es gab ein aufgeregtes Hin- und Herlaufen auf Gängen und Treppen des gewaltigen Gebäudes. Offiziere und Matrosen im Paradeanzug standen bereit, das Vaterland zu grüßen. Heiter glänzte die Sommersonne auf dem spiegelnden Metall des Schiffes, seine Wimpel flatterten, die mächtige schwarz-weiß-rote Fahne bauschte sich und wallte im Seewind. Rechts und links lagen große und kleine Dampfer. Durch die schmalen Wasserstraßen zwischen ihnen flitzten schlanke Motorboote. Über schmutzige Bretterstege schleppten berußte Männer vom Ufer ungeheure Kohlenlasten und versenkten sie in die schwarzgähnenden Bäuche der Seeriesen. Auf ragenden Kranen schwebten Kisten und Ballen hoch in der Luft und senkten sich mit leichter Drehung auf die Kais nieder, wo zahllose Arbeiter in Lederschurzfellen, Hünen an Kraft der Glieder, Kolli nach Kolli auf Wagen verluden und in die großen Speicher beförderten, welche den Hafen umgaben. Ein Geruch nach Teer, Öl und Salzwasser schwebte über dem eifrigen Arbeitsgetriebe, zwischen dem das Gewimmel der Neugierigen das Anlegen des Überseedampfers erwartete. Helmut Kärns Augen strahlten vor Freude über das stolze Bild. Er griff nach seines Vaters Hand und schwenkte sie stürmisch. »Das ist ja Deutschland, Vater!« rief er in lautem Jubel. »Deutschland! Deutschland! Begreifst du's denn, Vater, daß wir wieder da sind! Nach elf Jahren! Wie alt war ich denn? Drei Jahre – drei! Du trugst mich auf dem Arm über den Steg, als wir abfuhren. Weißt du noch? Und Mutter weinte ... Vater, was tut der Mann dort drüben? Was schreit er wie wahnsinnig? Was schwenkt er so die weißen Blätter ...?« Wilhelm Kärn zog seine Hand aus der des Sohnes, der Ausdruck seines kräftigen braunen Gesichtes war tiefernst, seine Augen starrten angestrengt hinüber zu dem Zeitungsträger. Mit ihm starrten viele Augen, viele gespannte Gesichter hinter Operngläsern. Jetzt drängten die Menschen wild nach einer Seite, wo ein kleines Motorboot sich dem Kolosse näherte. Mit kühnem Schwung flog ein Paket Blätter hinauf, wurde im Nu von Hunderten ergriffen – – – Der Mann im Boot schrie durch die hohlen Hände etwas Unverständliches. Eine Sekunde lang legte sich eine furchtbare Stille über die wartenden Menschen, über Männer, Frauen, Kinder. Dann brach ein wildes Getöse aus, und gellend scholl das eine Wort »Krieg« von Mund zu Mund.