Nachtgespräche
9781465649430
108 pages
Library of Alexandria
Overview
Ich erlebte es auf einer Reise von Berlin nach Wien. Der graue Tag war vorzeitig in die Nacht hineingeglitten. Die Lampen in den Abteilen waren noch nicht angesteckt. Nur aus den Kronen der verschneiten Bäume, die rechts und links den Zug umsäumten, fiel durch die trüben Scheiben ein unsicheres Licht. Die Menschen saßen wie in Käfige gepfercht, ohne Rücksicht auf die Vorrechte, die sie ihrem Fahrschein dankten. Neben der Dame der Soldat, Körper an Körper Herr und Bauer. Zwischen den Bänken, auf den Gängen drängte sich die Menge in unerwünschter wahlloser Gemeinsamkeit. Keuchend, schnaubend, als schnappe sie nach Atem, schleppte eben die Maschine ihre schwere Fracht über eine kleine Steigung. Oben angelangt, wollte sie die Fahrtgeschwindigkeit erhöhen, als sie sich mit einem Ruck, unter dem die ganze Wagengliederung sich bäumte, aufklirrend nach rückwärts warf. Grell schrie sie auf. Gleich einem Blutstrom spie sie Rauch und Funken. Ein Zittern lief durch ihre Flanken. Sie stand still. Eine gewissermaßen gefrorene Bewegung bekundete sich in der eingekeilten Menschenmasse. Aller Wahrscheinlichkeit entgegen gelang es einigen geschickten Händen, verklemmte Türen aufzureißen. Wer konnte, kletterte hinunter, von oben wurden Fragen in die Dunkelheit geworfen. Die Unruhe hatte ihren Höhepunkt erreicht, als die Beamten kamen, Aufklärung verbreitend: Fahrtunterbrechung. Vor der nächsten Haltestelle ist ein Zug entgleist. Aufschwirrende Gerüchte von Beschädigung des Bahnkörpers, Aufreißen der Schienen, begegneten dem gleichen Achselzucken wie die Wißbegierde nach der Dauer des unfreiwilligen Aufenthalts. Immerhin mußte die Mitteilung zu denken geben: es stehe jedem frei, auszusteigen und im nächsten Dorf ein Obdach aufzusuchen oder sich in seinem Abteil einzurichten. Der Zug werde auf ein totes Gleis verschoben, wo ihn weder Störung noch Gefahr bedrohte.