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Der Klausenhof

Roman

9781465640949
108 pages
Library of Alexandria
Overview
Die Baukommission war wieder einmal den Berg heraufgekommen. Östlich vom Klausenhof, keine fünfzig Meter davon, gerade an der Stelle, wo der Wald mit tiefdunklen Tannen und hellgrünen Lärchen einsetzte, machte sie halt und begann den Boden zu prüfen und zu messen. Unten auf der Wiese standen der Klausenbauer und sein Sohn. Sie hatten die Fremden den steilen Weg emporkommen sehen, hatten sie ihre rätselhaften Geräte auf dem grünen Waldboden ausbreiten sehen, und nun stockten sie in ihrer Arbeit und sahen sich schweigend an. Der Sohn hinab zu dem Vater, der Vater hinauf zu dem Sohn. Und respektvoll wartete der Junge, bis der Alte reden würde. Aber der Alte redete nicht. Er spuckte in seine ledernen Hände, griff nach der Hacke und führte gegen den fetten, lockeren Boden zähe, energische Streiche. Da nahm auch der Junge seine Arbeit wieder auf. Aber seine Finger zitterten nicht um den Schaft der Hacke, und in seinen Augen lag kein Zorn. – Was war auch so sehr Böses daran, daß sie hier oben bauten? Die Schuld lag beim Vater. Hätte er doch den Wald vor sechs Jahren erstanden. Damals fing es an. Erst das Haus am äußersten Bergrand. Breit, behäbig, als ob es ein uraltes Recht hätte dort zu stehen, erhob es sich aus dem Boden, und als es fertig war, erhielt es den Namen »Waldfriede«. Den Winter über merkten die Klausen kaum etwas davon, aber mit dem Sommer begannen sie es zu spüren. Die Eigentümer der Villa zogen herauf, und nun wehten bald im Wald, bald auf den Wiesen die Schleier der Frau Doktor. Noch im selben Jahre erbaute man zwei andere Villen, im nächsten Jahr noch eine. – Und der Klausenhof, der seit Jahrzehnten stolz und einsam auf dem Berg gestanden, stand nicht mehr allein. Das kam den Klausenbauern vor wie ein Unglück. Seit Generationen und Generationen war kein fremder Mensch auf den Berg gekommen, und nun traf man bald da, bald dort diese neuen Leute mit ihrem weichlichen Getue. Aber ihre Villen lagen doch tiefer unten, denn die weiten Wiesen, die den Klausenhof umgaben und zum Klausenhof gehörten, wehrten jede Ansiedelung in der Nähe. Nur der Wald war fremdes Gut. Das hatte den Klausenbauern längst Sorge gemacht, und sie hätten ihn gerne erstanden. An Geld hätte es auch nicht gefehlt, denn sie waren reiche Bauern. Aber der Alte war langsam, bedächtig und schwer von Entschluß. – Ja, schwer von Entschluß – und der Junge erschrak über seine Respektlosigkeit und schaute scheu auf den Alten. Der aber war ruhig geworden und arbeitete fort, als gäbe es nichts. Nur den Blick des Jungen vermied er geflissentlich, und als Stephan das merkte, fiel ihm ein, daß er zu den Knechten müsse. Darauf nickte der Alte, aber es war wie eine traurige Antwort auf eine traurige Frage. Das schnitt Stephan ins Herz, und er dachte: »Könnte ich ihn nicht trösten? Er meint, mir liegt etwas an dem Wald.« Aber die Worte, die er reden wollte, freundliche, begütigende Worte, überschlugen sich in seiner Kehle mit dumpfem Geräusch, und als sie endlich heraus waren, sagten sie etwas Gleichgültiges über eine der Wiesen weiter unten. Ganz beschämt nahm er seine Hacke und ging.