Das Leben der Bienen
9781465640628
211 pages
Library of Alexandria
Overview
Es ist kein Buch über Bienenzucht, kein Handbuch für Bienenzüchter, was ich hier schreiben will. Jedes Land besitzt treffliche Werke dieser Art, und es wäre zwecklos, sie noch einmal zu schreiben. In Frankreich hat man die Werke von Dadant, Georges de Layens, Bonnier, Bertrand, Hamet, Weber, Clément und Abbé Collin, auf englischem Sprachgebiete die Schriften von Langstroth, Bevan, Cook, Cheshire, Cowan und Root, in Deutschland die des Pfarrers Dzierzon, des Barons von Berlepsch, Pollmann, Vogel u. v. a. Ebensowenig will ich eine wissenschaftliche Monographie über apis mellifica, ligustica, fasciata, dorsata u. s. w. schreiben, oder die Ergebnisse neuer Forschungen und Beobachtungen mitteilen. Ich werde fast nichts sagen, was nicht jedem, der sich ein wenig mit Bienenzucht befasst hat, geläufig wäre, und, um dieses Buch nicht unnütz zu beschweren, eine gewisse Anzahl von Beobachtungen und Erfahrungen, die ich in zwanzigjährigem Verkehr mit den Bienen gewonnen, mir für ein Spezialwerk vorbehalten, da sie nur von beschränktem, technischem Interesse sind. Ich will nur ganz einfach von den Bienen reden, wie man von einem vertrauten und geliebten Gegenstande redet, wenn man Nichtkenner darüber belehren will. Ich will weder die Wahrheit ausschmücken, noch, was Réaumur mit vollem Rechte allen seinen Vorgängern in der Bienenkunde vorwirft, ein hübsch erfundenes Märchen an die Stelle der ebenso wunderbaren Wirklichkeit setzen. Es giebt Wunder genug im Bienenstaat, und man braucht darum keine hinzu zu erfinden. Überdies habe ich schon lange darauf verzichtet, etwas Interessanteres und Schöneres auf dieser Welt zu finden, als die Wahrheit oder doch wenigstens das Trachten nach ihr. Ich werde im folgenden also nichts vorbringen, was ich nicht selbst erprobt habe oder was von den Klassikern der Bienenkunde nicht derartig bestätigt wird, dass jede weitere Beweisführung langweilig würde. Ich beschränke mich darauf, die Thatsachen ebenso zuverlässig wiederzugeben, nur etwas lebendiger und mit Weiterentwickelung einiger eingeflochtener, freierer Gedanken, sowie mit etwas harmonischerem Aufbau, als dies in den Handbüchern oder den wissenschaftlichen Monographien zu geschehen pflegt. Wer dies Buch ausgelesen hat, ist nicht gleich im stande, einen Bienenstock zu halten, aber er erfährt daraus nahezu alles Merkwürdige und Tiefe, alle feststehenden Einzelheiten über seine Bewohner, und zwar keineswegs auf Kosten dessen, was noch zu wissen übrig bleibt. Ich übergehe all die Fabeln, die auf dem Lande und in vielen Werken noch über die Bienen verbreitet sind. Wo Zweifel herrschen, die Meinungen auseinandergehen, etwas hypothetisch ist, wo ich zu etwas Unbekanntem komme, werde ich es ehrlich erklären. Wir werden oft vor dem Unbekannten innezuhalten haben. Ausser den grossen sichtbaren Vorgängen ihres Lebens weiss man sehr wenig über die Bienen. Je länger man sie züchtet, desto mehr wird man sich unserer tiefen Unkenntnis über ihr wirkliches Dasein bewusst, aber diese Art des Nichtwissens ist immerhin besser, als die bewusstlose und selbstzufriedene Unwissenheit. Gab es bisher eine solche Arbeit über die Bienen? Ich glaube, nahezu alles gelesen zu haben, was über die Bienen geschrieben worden ist, aber ich kenne nichts ähnliches ausser dem Kapitel, das Michelet ihnen am Schlusse seines Werkes „Das Insekt“ widmet, und dem Essay von Ludwig Büchner, dem bekannten Verfasser von „Kraft und Stoff“, in seinem „Geistesleben der Tiere“.