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Psychologische Typen

9781465639974
201 pages
Library of Alexandria
Overview
Plato und Aristoteles! Das sind nicht bloss die zwei Systeme, sondern auch die Typen zweier verschiedener Menschennaturen, die sich seit undenklicher Zeit, unter allen Kostümen, mehr oder minder feindselig entgegenstehen. Vorzüglich das ganze Mittelalter hindurch, bis auf den heutigen Tag, wurde solchermassen gekämpft, und dieser Kampf ist der wesentlichste Inhalt der christlichen Kirchengeschichte. Von Plato und Aristoteles ist immer die Rede, wenn auch unter anderm Namen. Schwärmerische, mystische, platonische Naturen offenbaren aus den Abgründen ihres Gemütes die christlichen Ideen und die entsprechenden Symbole. Praktische, ordnende, aristotelische Naturen bauen aus diesen Ideen und Symbolen ein festes System, eine Dogmatik und einen Kultus. Die Kirche umschliesst endlich beide Naturen, wovon die einen sich meistens im Klerus und die andern im Mönchstum verschanzen, aber sich unablässig befehden. Bei meiner praktischen ärztlichen Arbeit mit nervösen Patienten ist mir schon lange aufgefallen, dass es neben den vielen individuellen Verschiedenheiten der menschlichen Psychologie auch typische Unterschiede gibt, und zwar fielen mir zunächst zwei Typen auf, die ich als Introversions- und Extraversionstypus bezeichnete. Wenn wir einen menschlichen Lebensverlauf betrachten, so sehen wir, wie die Schicksale des einen mehr bedingt sind durch die Objekte seiner Interessen, während die Schicksale eines andern mehr durch sein eigenes Inneres, durch sein Subjekt bedingt sind. Da wir nun alle etwas mehr nach dieser oder jener Seite abweichen, so sind wir natürlicherweise geneigt, alles jeweils im Sinne unseres eigenen Typus zu verstehen. Ich erwähne diesen Umstand schon hier, um möglichen Missverständnissen vorzubeugen. Begreiflicherweise erschwert dieser Umstand den Versuch einer allgemeinen Beschreibung der Typen beträchtlich. Ich muss beim Leser schon ein grosses Wohlwollen voraussetzen, wenn ich hoffen will, richtig verstanden zu werden. Es wäre relativ einfach, wenn jeder Leser von sich wüsste, zu welcher Kategorie er selber zählt. Es ist aber oft sehr schwierig, herauszufinden, ob jemand zu diesem oder jenem Typus gehört; besonders, wenn man selber in Frage kommt. Das Urteil in Bezug auf die eigene Persönlichkeit ist ja immer ausserordentlich getrübt. Diese subjektiven Urteilstrübungen sind darum so besonders häufig, weil jedem ausgesprochenem Typus eine besondere Tendenz zur Compensation der Einseitigkeit seines Typus innewohnt, eine Tendenz, die biologisch zweckmässig ist, da sie das seelische Gleichgewicht zu erhalten strebt. Durch die Compensation entstehen sekundäre Charaktere oder Typen, welche ein äusserst schwierig zu enträtselndes Bild darbieten, so schwierig, dass man selbst geneigt ist, die Existenz der Typen überhaupt zu leugnen und nur noch an individuelle Verschiedenheiten zu glauben.