Leid und Freud einer Erzieherin in Brasilien
9781465634993
301 pages
Library of Alexandria
Overview
Es soll kaum einen Brasilianer geben, der nicht französisch spräche, manchen aber auch, der nur einen sehr unvollkommenen Begriff hat von der Lage des dazugehörigen Landes oder davon, daß es in demselben auch noch einige andre Ortschaften giebt als Paris. In dem Kopfe meiner Negerin ist „Paris“ identisch mit allem und jedem außerhalb Brasiliens befindlichen Gebiet, und da ich ihre unbegrenzte Hochachtung vor diesem merkwürdigen Dinge „Paris“ sehe, dem ich natürlich auch entstamme, so habe ich mich wohl gehütet, dasselbe und die Leistungsfähigkeit seiner Kinder berichtigender Weise durch mein achttägiges Portugiesisch zu diskreditieren. „Meine Negerin“ — nicht wahr, das ist bis jetzt noch das Beste an meinem Brief, das klingt doch nach was! Sie heißt sogar Olympia, was die Sache doch entschieden noch pomphafter macht, und sagt bei jeder Gelegenheit höchst unterwürfig „Sim, Senhora“, auch wenn ich sie schelte. Im Vertrauen will ich Dir zwar sagen, liebe Grete, daß sie das scheußlichste, dicklippigste schwarze Geschöpf ist, das je einen hochtrabenden Namen trug, und daß das „Senhora“ ganz etwas gewöhnliches hier ist, wie in Berlin z. B. „gnädige Frau“. Außerdem macht Einen das ewige „Sim, Senhora“ zuletzt ganz stumpfsinnig, da sie es überall und immer anwendet, zumal wenn sie mein Portugiesisch nicht verstanden hat, was einige Male am Tage vorkommt. Aber dies erzähle den Andern nicht, hörst Du! Dr. Rameiro besitzt noch gegen 200 Sklaven und Sklavinnen. Die meisten arbeiten natürlich draußen im Kaffee, aber hier im Hause sind auch eine ganze Anzahl, von denen einige auch etwas zu thun haben. In einem großen Saale mit Oberlicht, der eigentlich den Eindruck eines großen Flures macht, sitzen ein Neger und eine Negerin je an einer Nähmaschine und klappern den ganzen Tag. Rings umher an der Erde und auch in einem anstoßenden Raume, der wieder wie ein Flur aussieht und an die Küche stößt, sitzen zehn bis zwölf Negerinnen und nähen, und eine jede hat einen Korb aus Bambusgeflecht vor sich, worin ein kleines Kind liegt, von welcher Kollektion natürlich immer mindestens eines schreit. Da zu diesen Näharbeiten nur Negerinnen mit ganz kleinen Kindern, die sie nicht verlassen können, verwendet werden, so ist es klar, daß, wenn welche dasitzen, auch die Bambuskörbe nicht fehlen und mindestens aus einem derselben geschrieen wird. Das Küchenpersonal besteht aus drei Personen. Wer von ihnen kocht, habe ich in diesen Tagen noch nicht herauskriegen können; manchmal schmeckt das Essen so, als wären ihre Ansichten in Bezug auf die erforderlichen Zuthaten in den denkbarsten Diametralen auseinander gegangen und hätte schließlich jeder von ihnen die seinige durchgesetzt, manchmal scheint es, als haben sie sich um des lieben Friedens willen alle drei von der Sache zurückgezogen. Ein kleiner zwölfjähriger Mulatte mit unverschämtem Gesicht und einer scheinbar unbesiegbaren Anhänglichkeit an schmutzige Anzüge und Purzelbäume, in welchen letzteren er eigentlich geht, hat des Mittags mit einer kleinen Fahne (die jedenfalls jetzt bräunlich-grau ist, was sie auch früher gewesen sein mag) die Fliegen über dem Tisch zu verjagen, was meiner Ansicht nach viel unerträglicher ist als die Fliegen, und außerdem den Kaffee zu servieren. Aber trotzdem diese Erfrischung mindestens vier Mal am Tage eingenommen wird, kann diese Arbeit doch nicht als ausreichende Beschäftigung für einen ganzen Tag angesehen werden, und es läßt sich also garnicht absehen, bis zu welcher Virtuosität in Purzelbäumen diese kleine gelbe Kreatur es noch bringen kann, wenn er auch nur die Hälfte seiner freien Zeit auf ihre Vervollkommnung verwendet.