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Der Gro�nquisitor

9781465516756
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Library of Alexandria
Overview
Übertragen von Rudolf Kassner Im Insel-Verlag zu Leipzig In seiner unermeßlichen Barmherzigkeit zeigt Er sich noch einmal den Menschen in derselben Gestalt, in welcher Er vor fünfzehn Jahrhunderten drei Jahre lang unter ihnen gewandelt ist. Er läßt sich herab auf die ›brennenden Plätze‹ der südlichen Stadt, in der noch am Vorabend in Gegenwart des Königs, des gesamten Hofstaates, der Ritterschaft, der Kardinäle und entzückender Frauen vor der ganzen Einwohnerschaft Sevillas durch den Kardinal-Großinquisitor nicht weniger als ein volles Hundert Ketzer auf einmal ad majorem dei gloriam verbrannt worden war. Er bleibt am Eingange stehen und sieht Ihm lange, ein bis zwei Minuten lang, ins Gesicht. Dann tritt er näher heran, stellt den Leuchter auf den Tisch und spricht zu Ihm: ›Bist Du es?‹ Da er keine Antwort erhält, fügt er schnell hinzu: ›Antworte nicht, schweige! Was kannst Du auch sagen? Ich weiß sehr gut, was Du sagen willst; doch Du hast kein Recht, auch nur ein Wort zu dem hinzuzufügen, was einst von Dir selber gesagt worden ist. Warum bist Du gekommen, uns zu stören? Denn dazu bist Du gekommen, Du weißt es selber. Weißt Du aber auch, was morgen geschehen wird? Ich weiß nicht, wer Du bist, ich will auch nicht wissen, ob Du es wirklich bist oder ob Du nur seine Gestalt angenommen hast: aber morgen werde ich Dich richten und verurteilen und Dich auf dem Scheiterhaufen verbrennen als den gefährlichsten aller Ketzer, und dasselbe Volk, das heute Dir die Füße geküßt hat, wird sich morgen auf einen Wink von meiner Hand hin zum Scheiterhaufen stürzen, um dort die Kohlen zu schüren, weißt Du das? Es ist möglich, daß Du es weißt‹, fügte er hinzu, ohne auch nur eine Sekunde den Blick von dem Gefangenen zu lassen